Leseprobe

Als sie die Koffer und Kisten endlich alle verstaut hatten, quetschten sich Cedrik und sein Vater zwischen die zahlreichen Gepäckstücke auf die Rückbank des alten Geländewagens.

Mr McKanaghan versuchte bereits seit einigen Minuten erfolglos das Auto zu starten. Esmeralda, die wieder auf dem Beifahrersitz saß, wandte sich an O’Connor. „Wir freuen uns sehr, dass wir Sie für die Stelle bei uns gewinnen konnten. Sie haben ganz ausgezeichnete Referenzen.“

Sein Vater, der neue Lehrer, lächelte gequält und Cedrik spürte einen Stich in seinem Herzen.

 „Wissen Sie, dass mein Vater ein königliches Institut geleitet hat, bevor er sich dazu entschlossen hat, Grundschullehrer zu werden?“, sagte Cedrik. Seine Stimme zitterte leicht.

O’Connor fiel seinem Sohn hastig ins Wort. „Cedrik, lass doch, bitte!“

Doch Esmeralda schien sich an Cedriks Bitterkeit nicht zu stören. „Natürlich weiß ich das. Und finde es sehr bemerkenswert.“ Sie machte eine kleine Pause. „Und du? Glaubst du daran?“

„Woran?“

„Na, an diese wunderbaren Dinge, die dein Vater erforscht“, erklärte Esmeralda.

Cedrik runzelte die Stirn. „Sie meinen an so etwas wie Gnome, Trolle und Elfen?“

McKanaghan hatte es immer noch nicht geschafft, den Motor zu starten und fluchte leise vor sich hin.

„Ganz genau!“, sagte Esmeralda und warf Cedrik über die Schulter einen verschmitzten Blick zu.

„Nein. Schon lange nicht mehr“, erwiderte Cedrik. „Als ich noch kleiner war, vielleicht, ja, ein wenig. Aber jetzt … Ich weiß nicht. Und Sie? Glauben Sie daran oder denken Sie wie die meisten, dass all diese Erscheinungen irgendwelche natürlichen Ursachen haben?“

Esmeralda lachte auf, hell und perlend. „Natürliche Ursachen?! Oh, da magst du recht haben.“

O’Connor beugte sich auf seinem Sitz vor und schob sich so zwischen Cedrik und Esmeralda. „Ach, lassen wir das doch jetzt, Fabelwesen und Mythologie und all das. Meine Zeit im Museum ist vorbei“, sagte Cedriks Vater, um gute Laune bemüht. „Wissen Sie, worauf ich mich wirklich freue? Auf meinen neuen Job als Lehrer. Und auf die Kinder von Mistle End!“

„Und die Kinder auf Sie, mein Lieber!“, antwortete Esmeralda herzlich.

Endlich war es McKanaghan gelungen, das Auto zu starten. Der Motor heulte auf, und er wendete den Geländewagen auf dem kleinen Bahnhofsplatz. Es schien tatsächlich nur eine Straße von dem Bahnhof wegzuführen, und dieser folgten sie nun, schneebedeckt und kurvig wie sie war, hoch in die Berge. Zu beiden Seiten säumten niedrige Mauern aus unbehauenen Felssteinen den Weg. Wie lange Finger tasteten die Autoscheinwerfer durch das Dunkel und warfen ihr Licht auf Abertausende Schneeflocken, die vor ihnen über die Straße wirbelten. Die Strecke stieg steil an, und wenn sich das Fahrzeug durch den immer höher liegenden Schnee kämpfte, jaulte der Motor laut auf.

„Beeindruckend, sehr beeindruckend!“, staunte O’Connor. „In London haben wir selten so einen Schneefall!“

„Das ist noch gar nichts!“, erwiderte McKanaghan.

„Letzte Woche hatten wir hier so viel Schnee, ich sag Ihnen, der ging bis über …“

„Vorsicht!“

McKanaghan hatte sich mit den letzten Worten zu seinen Gästen auf der Rückbank umgedreht, und dabei das Fahrzeug mit einer unkontrollierten Bewegung des Lenkrades aus der Spur gerissen. Der Wagen geriet ins Schleudern und schoss direkt auf eine der steinernen Straßenbefestigungen zu.

Cedriks Herz machte einen Sprung und ihm stockte der Atem. Die Mauer!

Er klammerte sich mit beiden Händen an eine schwere Bücherkiste und verfluchte sich gleichzeitig, weil er nicht einmal versucht hatte, sich anzuschnallen. Der Wagen schlingerte heftig, der Motor heulte auf, doch bevor das Auto mit voller Geschwindigkeit in das Gemäuer rasen konnte, gab es einen kräftigen Ruck, der Wagen machte einen gewaltigen Satz zur Seite – und war wieder in der richtigen Spur. Mr McKanaghan hatte keinen Finger gerührt, das Lenkrad sogar losgelassen. Da war sich Cedrik ganz sicher.

O’Connor hatte seine Hände in den Sitz vor ihm verkrallt und saß kreidebleich auf seinem Platz. „Ach du meine Güte!“

Mr McKanaghan dagegen schien von der ganzen Aktion völlig ungerührt. Die angsterfüllten Schreie seiner beiden Fahrgäste dagegen hatten ihn scheinbar verärgert. „Was habt ihr denn?“, empörte er sich und starrte Vater und Sohn im Rückspiegel böse an. „So ein Theater!“

Esmeralda, die das ganze Schauspiel bisher mit größter Fassung ertragen hatte, zischte McKanaghan wütend an: „Passen Sie doch auf! Müssen Sie uns so erschrecken?“

Der Getadelte brauste auf. „Was denn? Der Wagen ist doch …“

„Mr McKanaghan, ich darf ja wohl bitten!“, unterbrach ihn Esmeralda scharf und wandte sich sofort, nun wieder liebenswürdig lächelnd, an Cedrik und seinen Vater. „Bitte verzeihen Sie den wilden Fahrstil unseres, ähem, lieben Mr McKanaghan, aber die gute Nachricht ist: Wir sind gleich da!“

Cedrik seufzte, O’Connor nickte, das bleiche Grau in seinem Gesicht war inzwischen einem leichten Grün gewichen, und McKanaghan kratzte sich verlegen unter seiner Schirmmütze. „Sorry, Ma’am.“

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